MINDSET
Man muss auf sich vertrauen, man muss an sich arbeiten und man muss sich selbst treu bleiben – nur dann ist man irgendwann einzigartig.
3 MICHELIN STERNE
GAULT&MILLAU 19 PUNKTE
10+ PFANNEN IM GUSTO
FEINSCHMECKER 5F
SCHLEMMERATLAS 5 BESTECKE
GROSSER GUIDE 5
2016 „KOCH DES JAHRES“, DER FEINSCHMECKER
2017 „KOCH DES JAHRES“, FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG
2021 „KOCH DES JAHRES“, DER GROSSE RESTAURANT & HOTEL GUIDE
FRANKFURTER ALLGEMEINE
Hartwig ist der idealtypische Prototyp eines modernen deutschen Meisterkochs. Er wurde nicht von den Granden des deutschen Küchenwunders ausgebildet, die noch in der Tradition der klassischen französischen Haute Cuisine standen, sondern von deren Schülern, die sich kulinarisch emanzipiert und geschmacklich globalisiert haben. Er findet eine Balance aus Selbstbewusstsein und Demut, Individualität und Kollegialität, Ehrgeiz und Gelassenheit, die der Garant ist für eine brillante Küche.
ACCESS TO GENIUS
Auf der Überholspur
JAN • MÜNCHEN
Er hatte nie ein Poster eines Fußballspielers an der Wand in seinem Kinderzimmer, aber ein Kochbuch von Eckart Witzigmann im Regal. Stibitzt von seinem Vater, der einen kleinen Landgasthof bei Braunschweig betreibt. 25 Jahre später ist Jan Hartwig Küchenchef des 3-Sterne-Restaurants Atelier im Hotel Bayerischer Hof in München. Und auch wenn er längst im vermeintlichen Olymp der Köche angekommen ist, hat er die Bodenhaftung nicht verloren. Was dies allerdings mit der Formel 1 zu tun hat, verrät viel über den Menschen und Sternekoch Jan Hartwig.
Es gibt diese Momente im Sport, in denen Menschen zu Mitgewinnern werden. Entweder, weil sie vor Ort sind oder zu nachtschlafender Zeit mitfiebern können. Bei den Boxkämpfen von Muhammad Ali, den Grand Slam Siegen von Boris Becker – oder den ersten Auftritten von Michael Schumacher im internationalen Rennzirkus Anfang der 90-er Jahre. In Hockenheim oder Spa, zu Beginn seiner Karriere noch mit einem Benetton-Renault. Damals dominierten noch Namen wie Nigel Mansell und Riccardo Patrese die Szene und vor allem Ayrton Senna. Und die Formel 1 fragte sich: „Shoemaker? Wer ist das?“ Der britische TV-Kommentator Tom Watson wunderte sich öffentlich: „Wo kommen bloß all die deutschen Fahnen her?“
Eine Frage, die Jan Hartwig wie aus der Pistole geschossen beantworten könnte. Denn auch er war – damals noch ein kleiner Junge – einer derer, denen die Einfahrt von Michael Schumacher in die Zielgerade von Hockenheim eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Im Stadion an der Seite seines rennbegeisterten Vaters. Und schon damals wusste Jan, dass auch er eines Tages ganz oben auf dem Treppchen stehen und stolz sagen würde:
„Man kann alles schaffen,
wenn man sein Ziel nicht aus
den Augen verliert.“
Hockenheim ist es nicht geworden, aber München hat das Zeug zur Boxengasse. Ein Ort, der Jan Hartwig zu Höchstleistungen antreibt. Immer wieder aufs Neue, jeden Tag. Durch jeden Gast, der etwas Neues von ihm fordert. Wer kennt sie nicht, die Lust des Starts, des Anfangens, des Probierens. Einfach Vollgas geben, auch wenn man noch gar nicht weiß, wo die nächste Kurve ist, die einen vielleicht ins Schleudern bringt und womöglich herausträgt. Anfänge gelten für alle Bereiche des Lebens, auch für die Küche. Es ist die spannende Idee, das geniale Essen, der unbekannte Geschmack. Irgendwann kommt für viele innovative Köche die Zeit für einen Aufbruch. In der Geschichte nennt man das neu Beginnende oft Revolution, lichterlohe Momente, in denen es so aussieht, als finge alles noch einmal bei Null an. Und in der Kulinarik? Vielleicht ist es die ewige Suche nach dem kaum mehr zu steigernden guten Essen. Das ultimative Geschmackserlebnis. Was könnte sich nicht alles daraus ergeben? Jan Hartwig stellt sich diese und ähnliche Fragen sehr häufig, wenn er in seiner Küche steht und mit geschmacklichen Gegensätzen, mit Temperaturen und Texturen experimentiert. Es geht darum, die Reifen zum Kochen zu bringen, um in der Rennsprache zu bleiben. Grip heißt es auf der Strecke, als unvergesslich soll ein Essen in Erinnerung bleiben. Wird es dem Gast schmecken, wird er verstehen, was gemeint ist?
Ein Sterne-Essen ohne Gänsehaut ist wie schaler Champagner oder eine vegane Currywurst ohne Geschmack. Jan Hartwig ist mehr denn je davon überzeugt, dass wenn das Publikum die Leistung nicht erkennt, man was falsch gemacht hat. Vielmehr liegt der Anspruch darin, Spuren auf dem Asphalt bzw. im kollektiven Geschmackssinn der Gäste zu hinterlassen. Sollte das der Anspruch sein oder nur das Gefällige, die brave Fahrt? Ein Sonntagsausflug ohne Besonderheiten ist Hartwigs Sache nicht. Solche Widersprüche ergeben sich am Herd regelmäßig, und einige davon sind wohl auch ein bisschen zu groß für den Augenblick. Dann dauert das Experiment eben nur so lange, wie die Kraft des Neuen es trägt. Das Ende des Anfangs ist folglich der Anfang vom Ende eines nie probierten Gerichts, einer noch nicht ausgereiften Idee, eines vielleicht doch zu gewagten Rennmanövers. Oder – wenn man so will – einer noch nicht gefahrenen Runde mit offenem Ausgang.
Ganz ohne Zweifel – Jan Hartwig ist einer der Shooting-Stars in der deutschen Kochszene. Nach einer Ausbildung im Sterne-Restaurant Dannenfeld in Braunschweig folgten wichtige Stationen im Restaurant Kastell in Wernberg-Köblitz sowie im Gästehaus Erfort in Saarbrücken. Ab 2007 arbeitete er im Restaurant Aqua im Ritz Carlton Wolfsburg bei 3-Sterne-Koch Sven Elverfeld , wo er vom Chef de Partie bis zum Sous-Chef avancierte. Etappen, die Jan Hartwig zwar ausbildeten und formten, die aber seine tiefe Liebe zur Küche nur technisch wie in einem Lebenslauf für eine Bewerbung erklären. Die eigentliche Berufung als Koch erlebte Jan im elterlichen Betrieb, der Waldgaststätte Odinshain in Adendorf, einem Stadtteil von Peine. Emotional und voller Dankbarkeit schildert er die Nähe zu seinem Elternhaus und vor allem seinem Vater, der übrigens am selben Tag wie sein Sohn Geburtstag hat: „Entscheidend war, dass mir meine Eltern die Gastronomie nie schlecht geredet haben. Es wurde als etwas Wunderbares vorgelebt. Ich hörte beispielsweise nie den Satz „Junge lerne was Anständiges“! Und so empfinde ich es noch heute als den schönsten Beruf. Ich kann völlig frei und kreativ arbeiten. Außerdem gleicht kein Tag dem anderen. Für mich ist dieses monotone, langweilige und täglich gleiche Arbeiten kaum auszuhalten. Jeder Gast ist anders, jede Forelle ist anders, jede Zitrone ist anders und jeder Service. Genau das macht für mich den Reiz aus. Auch arbeite ich gerne mit den Händen. Das hat etwas Schöpferisches und Künstlerisches – auch wenn die angerichteten Teller natürlich sehr vergänglich sind. Aber genau das finde ich spannend. Zudem kann ich mir beim bestem Willen nicht vorstellen, dass sie einen 2 oder 3 Sterne-Koch finden, der lethargisch zur Arbeit geht. Wie soll das gehen?“ Im Gegenteil – aber es war kein anderer als sein Vater, der ihm diese Leidenschaft für den Beruf mitgegeben hat. „Er ist“, das betont Hartwig immer wieder, „ein stolzer Koch, der diesen Stolz täglich zeigt und automatisch an mich weitergegeben hat.“
Ästhetik auf dem Teller spielt für Jan Hartwig eine wichtige Rolle, wobei seine Vorbilder durchaus eine Bresche für die Natur geschlagen haben. Der Franzose Sebastien Bras oder der vegetarische Sternekoch Alain Passaerd sind solche Protagonisten für farbenfrohe Bilder, die auch bei den Gerichten zu sehen ist. Blumen und Blüten gehören für ihn wie selbstverständlich zu den Gerichten, die wie optische Kompositionen erscheinen. Eines der optischen Markenzeichen von Tellern von Jan Hartwig ist zweifelsohne der Ring. Dieser hat für ihn den Nutzen, dass die Saucen nicht verlaufen und die Gäste die Geschmäcker individuell dosieren können. Bei der Entwicklung von Gerichten geht Jan Hartwig immer zuerst von den Produkten und ihrer Qualität aus, um damit ein unverwechselbares geschmackliches Profil zu entwickeln. Erst wenn er damit zufrieden ist, geht er an das Visuelle. Bei allem Ehrgeiz, dem er seiner Kunst nachgeht, ist es ihm wichtig, mit einer gewissen Leichtigkeit zu arbeiten: „Man muss auf sich vertrauen, man muss an sich arbeiten und man muss sich selbst treu bleiben – nur dann ist man irgendwann einzigartig.“
Merkwürdig nur, dass in diesem Zusammenhang es wieder einmal Michael Schumacher ist, der in der kollektiven Erinnerung in der geistigen Zielgerade vorfährt. Einer, der ebenso souverän sein Handwerk beherrschte und dabei trotzdem menschlich bodenständig geblieben ist. Auf der Überholspur die Bodenhaftung nicht zu verlieren – das ist auch Jan Hartwigs Anspruch. Damals, als Jugendlicher und leidenschaftlicher Kartfahrer hat er es nicht geschafft, als Koch indes ist es sein größtes Ziel. Dass die Gäste regelmäßig Gänsehaut bekommen, wenn sie begeistert sein Essen genießen und danach virtuell die Flaggen schwenken. „Aber bis dahin“, sagt er, „ist es noch ein langer Weg!“…