MINDSET
Ich habe den Größenwahn ins Bäckereihandwerk gebracht.
BROTBÄCKER DES BUNDESPRÄSIDENTEN
OYYSTER
Hallo, möchte man sagen, der Mann hat mehr als eine Profilneurose zu viel. Erst recht, wenn er im mehlverklebten T-Shirt mit der Aufschrift „einfach mal die Fresse halten“ in sein Selfi-Video triumphiert: „Keiner kann so gutes Ciabatta machen wie ich“ postet er täglich per Instagram sein Selbstverständnis in die Welt.
ACCESS TO GENIUS
Der ist nicht schlau, der will nur backen
DER ECHTE GAUES • HAMBURG
Als Neil Armstrong im Juli 1969 zum Mond reiste, da nahm der US-Astronaut auch Musik mit, aber nicht irgendwelche: Es war eine Aufnahme der Symphonie „Aus der Neuen Welt“ von Antonin Dvorák. Wenn der deutsche Bäcker Jochen Gaues abheben möchte, dann fährt auch er musikalisch auf die Neue Welt ab. Nur braucht er dafür nicht einmal eine Rakete, sondern nur ein Stück selbstgebackenes Oliven-Ciabatta, einen guten Wein und ein großes Stück Käse. Spätestens dann wird der Mann, über den gerne kolportiert wird, er habe den Größenwahn ins Bäckereihandwerk gebracht, ganz demütig.
Stille Momente sind bei Jochen Gaues selten. Wie auch, wenn man Kunden wie Quentin Terrentino, Jack Nicholson, König Juan Carlos oder den ein oder anderen Bundespräsidenten mit einem fast verbrannt aussehenden Brot beglückt und sich für soviel zur Schau getragenen Dreistigkeit selbst als den Größten ausmacht.
„Ich bin der Beste Bäcker der Welt.“
… prahlt er ganz unbescheiden bei jedem, der ihm ein Mikrofon unter die Nase hält und auch bei denen, die von derartigem Getöse nichts wissen wollen. Es gehört schon eine Menge Chuzpe dazu, mit dem Ferrari Brot auszuliefern, in Hannover für französische Sterneköche Baguettes zu backen und First Class nach Paris fliegen zu lassen, trotz mehrerer Pleiten im großen Stil teure Weine zu degustieren, auch mal eine Taxifahrt mit einer Luxusuhr zu bezahlen oder Finanzbeamte mit seinen nicht immer korrekten Abrechnungen zu provozieren. Hallo, möchte man sagen, der Mann hat mehr als eine Profilneurose zu viel. Erst recht, wenn er im mehlverklebten T-Shirt mit der Aufschrift „einfach mal die Fresse halten“ in sein Selfi-Video triumphiert: „Keiner kann so gutes Ciabatta machen wie ich“ postet er täglich per Instagram sein Selbstverständnis in die Welt.
„Das Shirt? Hat mir meine Frau Betty geschenkt. Damit ich nicht so viel Scheiß labere. Nützt aber nix“, sagt der Mann in einem der raren Momente der Selbsterkenntnis. Gaues ist in seinem Element, wenn mal nicht über seine Eskapaden geredet wird, sondern über das, was er am meisten liebt: Brot!
„Keiner kann verstehen,
dass das mit dem Backen kein Hexenwerk ist.
Nur Wasser, Mehl, Salz.
Ach ja,
und Erfahrung.“
Keine Industriehefe kommt in die Knetmaschine, nur Sauerteig, selbstgezüchtet aus Mehl und Wasser. „Eine Katastrophe war das, als mal ein Lehrling den Sauerteig weggeworfen hat. Weils blubberte. Wie bekloppt ist das denn. Der konnte gar nicht so schnell gucken, wie schnell ich im Müllcontainer war, um den Teig wieder rauszuholen.“ Dazu kommt noch die „geheime Zutat“. Geröstetes und gemahlenes Brot vom Vortag – „ist zwar nicht erlaubt, kann man aber nicht nachweisen“. Deshalb schmeckt Brot von Gaues so besonders – manche finden, es ist zu dunkel, sieht verbrannt aus. „Aber das muss so“. Wer’s nicht mag, soll’s halt lassen.
Zu seinen besten Zeiten hat Gaues mehr als 60 Köche mit mindestens einem Michelin-Stern beliefert. Cornelia Poletto und Tim Mälzer in Hamburg, Sven Elverfeld in Wolfsburg, die halten noch immer die Fahne für mich hoch. Ich habe sie alle beliefert, das Drei-Sterne-Restaurant Aqua in Osnabrück, Ali Güngörmüș in München, sogar nach Paris gingen die Pakete. „Ich dachte bis dahin, die Baguettes kommen aus Frankreich?! Dabei kann ich auf Französisch nur Petrus, Latour, Mouton, St. Jacques und Foie Gras aussprechen. Und dann liefere ich Baguette zu Paul Garnier. Aber es lohnt sich, das sind gute Gaues-Werbebotschafter, die keine Kohle kriegen.“
„Echt geil.“
Der Mann ist beseelt von der Passion fürs Brot - und das, seitdem er denken kann. Schon als Achtjähriger wolle Gaues Bäcker werden. "Ich habe so lange Brötchen und Bäckereien gemalt, bis meine Eltern, beides Akademiker, mich zum Psychologen geschleppt haben, weil sie dachten, ich sei hochbegabt", grölt Gaues. Der Experte befand: „Der ist nicht schlau, der will nur backen“. Also schmiss Gaues nach der neunten Klasse die Schule, absolvierte eine Lehre - und erbuk sich mit knapp 24 Jahren binnen kürzester Zeit einen ausgezeichneten Ruf, räumte eine Medaille nach der anderen ab und ging schon Mitte der Neunzigerjahre als "bester Bäcker Deutschlands" durch die Presse. Inzwischen haben seine Eltern ihrem Frieden gemacht. 1996 gab’s den ersten Ferrari – ein 512er, rot, und so „die Zeit“ in einem Artikel, gebraucht gekauft von einem Boxweltmeister in Geldnot.
„Nicht schlecht für jemanden,
der nur Hauptschulabschluss hat.“
Partys und teure Restaurants waren seine Tankstellen. Als Champagner- oder Ferrari-Jochen diente er in den Medien als ergiebiger Quoten-Prol mit hohem Unterhaltungsfaktor. Dass er dabei wie ein Zirkuspferd durch die Arena gezogen wurde, war ihm nicht wirklich bewusst. Im Gegenteil – es ging immer höher hinaus „Saufen bringt nur kurzzeitig was. Früher war es einfacher, danach wieder zur Arbeit zu gehen. Aber: Wenn ich irgendwo versacke, war ich trotzdem am nächsten Tag in der Backstube. Vielleicht etwas später. Aber mir wars egal, denn Bruce Willis hat Brote bei mir gekauft, und durfte sie nicht mit ins Flugzeug nehmen, weil die sie für Bomben gehalten wurden. Das war natürlich super PR. Nur haben wir dabei vergessen, uns dabei um die Buchhaltung zu kümmern.“
Diese Überheblichkeit führte 2002 zur ersten Insolvenz. Wir haben viel zu viel Geld ausgegeben. Wir hatten einen Kassenbestand von 200.000 Euro, aber die waren nicht da. Ich habe alles, was nicht schuldenbelastet war, an meine damalige Frau übertragen. Dann hat sie die Scheidung eingereicht und dann sollte ich 10.000 Euro Unterhalt im Monat zahlen. Pleite, Aus, Ende.
Aber Gaues wäre nicht Gaues, wenn er nicht wieder von vorne anfangen würde. Hinfallen, Aufstehen, in die großen Hände klatschen. Zusammen mit seiner zweiten Frau Betty. „Wir haben so eine kleine Pimmelbäckerei aufgemacht, für die wir 500 Euro Miete gezahlt haben – mit einem uralten Ofen. Es kamen immer mehr Kunden. Wir haben so viel Geld verdient, das glaubst du gar nicht.“ Zum Geburtstag gabs dann eben zum zweiten Mal in seinem Leben einen Ferrari. Und nicht viel später zum zweiten Mal auf die Fresse. Weil die Hygiene nicht stimmte. 2010 kamen die Lebensmittelkontrolleure und notierte 81 Verstöße. Mäusekot, Ungeziefer und Schimmel waren keine guten Zutaten. Viele der Gastro-Kunden sprangen ab.
Trotzdem – der Bäcker des Bundespräsidenten und der Nationalmannschaft war in aller Munde. Und glaubte, dass er sich alles erlauben konnte. Gaues liebt seine Anekdoten aus der Welt der Berühmten und Reichen. Sprüche wie „Kanzler Schröder isst kein Brot der Arsch“ sind genauso dabei wie die Methode, wie er sein Brot an der Security vorbei ins Präsidialamt brachte. Beim Geburtstag eines Staatssekretärs kochte ein Sternekoch und Gaues durfte das Brot liefern: „Bin in Hamburg um 14.45 mit zwei Harry-Kisten beim Bundespräsidenten reingegangen, einfach so – und es wurde sich über den Bräunungsgrad vom Gauesbrot unterhalten und nicht über die Auslandseinsätze der Bundeswehr.“ Und setzt noch einen drauf:
„Da wirst du automatisch überheblich, wenn du Exekutive, Judikative und Legislative in Einklang bringst – ich war alles drei.“
Nur einmal hat ihm das alles nichts gebracht. Zum 75. Geburtstag von Paul Bocuse erfüllte Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann der französischen Koch-Legende einen Wunsch: Ein Brot von Gaues. „Nur erzählt haben sie es mir nicht, ich wär ja fünf Tage lang dauerbesoffen gewesen.“ 2013 musste das Leben schon wieder abgewickelt werden, weil man das mit den Sozialversicherungsbeiträgen nicht so genau genommen hatte. Betty als Geschäftsführerin drohten gar fünf Jahre Haft. Sogar ihre beiden Bordeaux-Doggen mussten zu dieser Zeit ins Tierheim, weil kein Geld mehr für Futter übrig war. Aus den Schulden kam er nur raus, weil er wieder einmal mehr Glück als Verstand hatte. Friedrich Knapp, Besitzer der Modemarke New Yorker, kaufte Gaues aus den Schulden raus:
„Das war wie bei Monopoly, nur mit echtem Geld. Ich habe aber erst da wirklich kapiert, dass ich an meinen Katastrophen immer selbst schuld bin.“
Gerade bastelt Gaues an seiner vierten Karriere, wieder mit einer eigenen Backstube am Außenrand von Hamburg. Von hier aus beliefert er als „der echte Gaues“ wieder mehrere Filialen, aber auch mehrere Märkte. Dieses Mal will er alles richtig machen – kein einfaches Unterfangen zu Corona-Zeiten.
„Aber ich habe ja gelernt,
kleine Brötchen zu backen, wenn es
sein muss.“
Angesichts von zwei Dutzend Angestellten und vielen Expansionsplänen fällt es schwer, ihm dies zu glauben. Sogar in New York will er irgendwann eine Filiale eröffnen, in der Nähe des Empire State Buildings. Einen Investor gebe es angeblich schon. Und da ist sie – die dazu passende Musik, die Jochen Gaues bei allem Größenwahn ganz ehrfürchtig werden lässt. Die neunte Symphonie von Antonin Dvorák. Die Analogie und das Dvorcáks Zitat nach der Uraufführung am 16. Dezember 1893 in der neu erbauten New Yorker Carnegie Hall ist ganz nach Gaues Geschmack: „Der Erfolg war ein großartiger, die Zeitungen sagen, noch nie hatte ein Komponist einen solchen Triumph. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von New York besetzt, die Leute applaudierten so viel, dass ich aus der Loge wie ein König mich bedanken musste.“
Und sollte es mit den Plänen nicht hinhauen, na dann hört eben einen Titel seiner zweiten Musikleidenschaft. Die Hardrock-Band Motörhead „Sympathy for the devil.“